Russlanddeutsche

Ein Volk auf der Wanderschaft von Otto Hertel

Wirtschaftsentwicklung

Die ersten 30 bis 40 Jahre nach der Einwanderung waren für die deutschen Siedlungen eine sehr dornige Durststrecke. Es fehlte an allem, auch an landwirtschaftlichen Geräten, an Getreide-, Gemüse- und Obstsorten, die den örtlichen Gegebenheiten entsprochen hätten. Doch mit der Zeit kam die Erfahrung, man begann schon in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts in kleineren Fabrikanlagen und Werkstätten Putzmaschinen, zwei-, dann drei- und später sogar sechsscharige Pflüge sowie Mähmaschinen zu entwickeln und zu produzieren, die nicht nur die Bedürfnisse der Deutschen befriedigten.



Abb.: Dampfmühle in Tiege

 

Es seien die großen Maschinenbaufabriken J. Höhn in Odessa, Lepp und Wallmann in Chortitza, Neufeld in Waldheim, eine Reihe von Industriekomplexen in Moskau, Petersburg und anderen Großstädten Zentralrusslands und des Baltikums genannt.

 Beachtliche Erfolge hatten die Deutschen zu verzeichnen mit dem Anbau von Weintrauben auf der Krim und im Transkaukasus, auf dem Gebiet der Schafzucht, bei der Anwendung der Schwarzbrache, bei der Produktion von Käse und Butter. Der deutsche Anteil an Getreide und besonders Mehl, welches zum Verkauf ins Ausland gelangte, war besonders groß. Zuerst baute man hauptsächlich Wind-, dann Wasser- und Pferdemühlen. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden aber auch einige hundert große Dampfmühlen errichtet und das in einem Gebiet von der Ukraine bis zur Wolga und bis nach Sibirien. Einige dieser Mühlen verarbeiteten pro Tag 400 bis 500 Tonnen Getreide. So die Mühle des Hauses "Konrad Reinecke & Söhne" in Saratow. Dr. Gertraut Reinecke in Detmold ist eine Enkelin des Gründers dieser Firma.

Man brachte das friesische Rind aus Deutschland mit, kreuzte es mit dem ukrainischen Steppenrind, wodurch eine neue Rasse, die "deutsche rote Kuh" ' entstand, die sich dem Steppenklima anpasste und einen hohen Milchertrag lieferte.

 Vor der Revolution gab es unter den Deutschen in Russland eine Reihe von Großunternehmern nicht nur in der Industrie, sondern auch in der Landwirtschaft. Der Viehzüchter Friedrich Falz-Fein besaß schon im Jahre 1859 zirka 775000 Hektar Land und pachtete weitere 90000 Hektar dazu. Seine Viehherden zählten damals etwa 276000 Merinoschafe, 4200 Rinder, 800 Pferde. Sein Urenkel Friedrich Falz-Fein hatte das Unternehmen "Askanija Nova" zu einem der größten Naturschutzparks der Welt gemacht. Er besaß nicht nur bis eine halbe Million Schafe und 58 verschiedene Arten Säugetiere. 402 Arten von Vögeln nahezu aus der ganzen Welt wurden hier 1914 kurz vor dem ersten Weltkrieg nicht nur gehalten - es wurden wirtschaftliche Beobachtungen und Kreuzungsversuche unternommen. Diese wissenschaftliche Tätigkeit wird in Askanija Nova" (Südukraine) bis heute fortgesetzt. Die Familie FalzFein floh 1919 nach Deutschland.


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Viele der begüterten Deutschen leisteten bedeutende Beiträge zur Gründung und zum Unterhalt von Schulen, Hospitälern, Waisenhäusern und ähnlichen Anstalten. Die Familie Schröder zum Beispiel spendete für die Nervenheilanstalt "Betanija" in der Ukraine 40000 Rubel. Das Jahresgehalt eines Lehrers betrug zu jener Zeit 600 Rubel.

So könnte man zusammenfassend sagen, dass die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Deutschen in Russland bei sehr schweren Anfängen sich der Blüte um die Hälfte des vorigen Jahrhunderts erfreuen durfte. In den 70er Jahren gab es starke Rückschläge, die dann wieder ausgeglichen werden konnten. Trotz Beschränkungen gab es bei dem bestehenden Potential in Wirtschaft, Erfahrung und Bildung noch einmal einen Aufschwung in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts, der bis zum ersten Weltkrieg andauerte.

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